Wenn ihr den Selfhelp-Guru Robert Betz kennt, dann seid ihr sicher auch mit dem Begriff Arschengel vertraut. Mir ist der Terminus inzwischen ans Herz gewachsen, weil er zwei sehr relevante Dinge miteinander verbindet. Lasst mich ausholen.
Es gibt Menschen in unserem Leben, unserem Umfeld, mit denen wir nicht gut zurecht kommen. Wir können sie vielleicht sogar nicht ausstehen. Sie sind uns ein Dorn im Auge. Sie nerven. Wenn wir nur ihre Stimme hören, regt sich Widerstand in uns und wir versteifen. Wir rollen – hoffentlich nur gedanklich – die Augen, sobald sie etwas (egal was) sagen. Wir möchten ihnen am liebsten aus dem Weg gehen. Obwohl wir Lästern nicht unbedingt gutheißen und uns schlecht fühlen, wenn wir es tun, würden wir gerne genau das: Uns bei anderen über diese Menschen aufregen, sezieren, warum sie so doof sind und was sie alles falsch machen, um sich am Schluss einig zu sein, dass das doch echt gar nicht geht! Vielleicht hassen wir die betreffenden Menschen sogar ... Phasenweise kommen wir mit ihnen besser zurecht (wenn wir viel meditiert und dabei liebende Güte* angewendet haben). Dann wieder ist jeder gute Vorsatz zum Fenster hinaus und wir fragen uns, wie wir es vorher auch nur eine Minute mit diesen Menschen ausgehalten haben, ohne ihnen ins Gesicht zu springen oder mit lautem Seufzer und kopfschüttelnd den Raum zu verlassen.
Jeder kennt oder kannte solche Ärsche – aus der Schule, dem Job, der Nachbarschaft, dem Freundeskreis oder sogar der Familie.
Das Komische ist: Nicht immer sind sich alle einig, dass diese Personen so schrecklich sind, wie wir sie empfinden. Manche Leute scheinen diese Menschen sogar zu mögen oder zu lieben! Diese Menschen sind objektiv betrachtet also meist keine Ärsche. Wir empfinden sie nur so. Die Frage ist: Warum?
Wenn der Arsch zum Engel wird
Hier verbindet der Begriff Arschengel das Negative mit dem Positiven: Die Arschengel in unserer Umgebung können uns nämlich viel beibringen. Nicht weil sie selbst so erleuchtet sind (was sie natürlich nicht sind, pah!). Sondern weil uns unsere Reaktion auf sie etwas erzählt – über uns selbst. Die Arschengel drücken unsere Knöpfe – nicht unbedingt die anderer Menschen oder zumindest nicht im selben Maße. Arschengel verursachen nicht den Widerstand in uns, sondern lösen ihn lediglich aus. Statt unsere Reaktion nach außen zu konzentrieren und gegen den Arsch anzukämpfen, sollten wir stattdessen in uns gehen und der Frage nachspüren: Was verursacht meine negative Reaktion? Diese Ursachen herauszufinden, bringt unsere Entwicklung voran und lehrt uns etwas über uns selbst. Im Idealfall kommen wir so der Lösung eines inneren Konflikts näher, der schon lange in uns schwelt. Letztlich führt das auch zur Lösung des äußeren Konflikts mit dem Arschengel – wobei es sich dabei nur noch um einen angenehmen Nebeneffekt der viel größeren, wichtigeren Auseinandersetzung mit uns selbst handelt.
Um diese positiven Effekte, die ein Arschengel auf uns haben kann, zu erschließen, müssen wir uns aber zuerst der Möglichkeit öffnen, dass es nicht der andere Mensch ist, den wir nicht ausstehen können, sondern etwas in uns, das er lediglich repräsentiert. Das ist sehr schwierig.
Den Fokus vom Arschengel nehmen – und nach innen schauen
Ich zumindest kämpfe im Moment damit. Immer wieder frage ich mich: Was nur soll mein Arschengel mir beibringen? Warum tut und tut sich nichts in meiner negativen Wahrnehmung, wendet sich nichts zum Besseren – im Gegenteil, im Moment ist es so schlimm wie nie.
Klar, mein Arschengel ist sicher kein perfekter Mensch und hat sehr wahrscheinlich Macken, die ganz objektiv bestehen. Ich denke dabei an:
-
ständiges Unterbrechen von Gesprächen
-
immer volle Aufmerksamkeit fordern
-
Eingeschnapptsein, wenn man diese Aufmerksamkeit nicht bekommt
-
andere ins Unrecht setzen oder maßregeln zu wollen („Das ist aber so und so/nicht gut/...)
- sticheln, um andere subtil schlecht zu machen
Diesem Verhalten liegt – so glaube ich zumindest – ein mangelndes Selbstwertgefühl zugrunde. Wer leidet nicht ab und zu darunter? Der eine mehr, der andere weniger. Und haben wir nicht alle unsere Mechanismen, mit denen wir damit umzugehen versuchen? Der eine ist vielleicht sehr schüchtern, der andere will im Mittelpunkt stehen. Der eine sagt zu allem Ja und Amen, um zu gefallen, der andere versucht, andere schlecht zu machen, um selber besser da zu stehen.
Paradoxerweise erreichen wir mit diesen Mechanismen meist genau das Gegenteil von dem, was wir uns wünschen: Ein solches Verhalten macht uns nicht beliebter, sondern unbeliebter. Nicht nahbarer, sondern unnahbarer.
Wenn ich das schon durchschaut habe, warum fällt es mir trotzdem so schwer, den Arsch in meinem Leben zum Engel werden zu lassen? Weil ich immer noch lieber wegschaue von mir, hin zu der anderen Person. Ich analysiere IHRE Probleme, nicht meine eigenen. Das ist leichter. Aber leider nicht zielführend.
Was ich von meinem Arschengel lernen kann
Denn mir ist – und das zuzugeben, ist nicht schön! – aufgefallen: Wenn ich mich bei anderen Leuten, die mich sehr gut kennen, über das Verhalten und Wesen dieses Arschengels ausheule, erkenne ich mich darin selbst wieder (autsch, das tut weh!). Ich merke, wie ich dann versuche, meine Sätze so zu formulieren, dass es nicht wie eine Selbstbeschreibung klingt. Damit mein Gegenüber ja nicht auf die Idee kommt: „Moment mal, das macht Silke doch auch oft.“
Ja, wahrscheinlich muss ich genau dort ansetzen: Mein Arschengel verkörpert Dinge, die ich an mir selber nicht ausstehen kann. Wenn ich diese Wesenszüge und Verhaltensweisen sowie deren zugrunde liegende Triebfeder (mangelndes Selbstwertgefühl) an meinem Arschengel akzeptieren könnte, dann könnte ich sie vermutlich auch bei mir selbst annehmen, statt sie mir übelzunehmen.
Vielleicht funktioniert es aber auch genau umgekehrt: Ich sollte mich selbst so annehmen wie ich bin – nicht perfekt –, damit ich auch die Macken meines Arschengels mitfühlend bejahen kann (wie Robert Betz es wohl formulieren würde).
Mein Arschengel bietet mir also die beste Gelegenheit, mich in Selbstliebe zu üben: Ich bin nicht perfekt! Ich fühle mich manchmal minderwertig und versuche das zu kompensieren, indem ich:
-
andere unterbreche
-
Aufmerksamkeit möchte
-
eingeschnappt bin, wenn ich sie nicht bekomme
-
andere ins Unrecht setze
- (gegen meinen Arschengel) stichele
(Und wieder: autsch! Selbsterkenntnis ist nicht immer angenehm.)
Gleichzeitig kann ich es als Anlass begreifen, meine Verhaltensweisen zu verändern: Nicht mehr unterbrechen, nicht eingeschnappt sein, sondern einfach sagen: Schenkst du mir kurz Aufmerksamkeit? Ich brauche sie gerade, weil ich mich schwach und übersehen fühle (zugegeben: Das kommt vielleicht komisch bei Kollegen oder Bekannten. Aber Freunde, Partner und Familie werden eher dafür empfänglich, wenn nicht sogar dankbar sein, weil man seine Bedürfnisse ohne Vorwurf formuliert).
So, das ist für mich erstmal genug Futter, um Gehirn und Seele eine Weile zu beschäftigen. Ihr habt es gemerkt: Dieser Text ist eindeutig kein Ratgeberartikel – er gibt keine konkreten Antworten auf Fragen. Es ist eher eine (Selbst-)Reflexion – ohne Lösungen, höchstens mit Denkanstößen. So wie eine Journey nun mal ist: Der Weg ist das Ziel.
Bis bald
Eure Silke
Live lightly. Consume mindfully.
*Liebende Güte ist eine Meditation, bei der positive Gefühle an Menschen “geschickt“ werden: Man stellt sich die Personen vor und fühlt Liebe dabei – oder versucht es zumindest. Zuerst kommen jene, bei denen uns das leicht fällt, dann Personen, denen wir neutral gegenüberstehen und schließlich diejenigen, mit denen wir Konflikte haben. Ich schließe jede Meditation mit einer kurzen "Liebende Güte"-Meditation ab, bei der ich mir fünf bis sieben Personen nacheinander vorstelle. Mein Arschengel ist seit einigen Monaten fast immer dabei.
Meine Tipps (die ich heute ausschließlich "Arschengel"-Erfinder Robert Betz widme):
Buch von Robert Betz: Willst du normal sein oder glücklich? Aufbruch in ein neues Leben.
Meditation von Robert Betz: Frieden mit meinen Arsch-Engeln (Hörbuch, CD)
Robert Betz erklärt auf YouTube: Was sind Arschengel? – Lasst Euch nicht von seiner etwas befremdlichen Art zu sprechen abschrecken, sondern achtet einfach auf den Inhalt ;-)
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