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Interview: "Minimalismus verhilft zu wahrem Reichtum"

Minimalismus
Für ein zufriedenes Leben und glückliche Momente braucht es nicht viele Dinge.

Hanna Schäfer und Jana Alves haben mich zu meiner minimalistischen Lebensweise interviewt. Die beiden studieren an der Hochschule für Finanzen und öffentliche Verwaltung in Ludwigsburg und schreiben eine Projektarbeit über Minimalismus. Wir sprechen darüber, dass Minimalismus immer individuell ist, wieso er mich reich macht, und ob Minimalismus und Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen müssen.

Minimalismus ist ein sehr weitdefinierter Begriff, unter dem jeder etwas anderes versteht. Was ist Dein Verständnis von einem minimalistischen Leben?

Minimalismus bedeutet für mich, mit dem zu leben, was wirklich wesentlich ist und alles Überflüssige wegzulassen – das kann sich auf alle Lebensbereiche beziehen, nicht nur auf Besitz und Konsum von Materiellem. Da nur jeder für sich selbst entscheiden kann, was in seinem Leben essentiell ist, ist Minimalismus immer individuell und sieht für jeden Minimalisten anders aus.

Wann hast Du Dich das erste Mal mit dem Thema Minimalismus befasst und was hat Dich dazu inspiriert? Hattest Du damals das Gefühl, dass Dir irgendetwas fehlt oder Konsum Dich unglücklich macht?

Ich habe mich Anfang 2017 dazu entschlossen, nach Marie Condos Buch „Magic Cleaning“ unseren kompletten Haushalt zu entrümpeln. Den Weg, ohne überflüssigen Ballast zu leben, wollte ich danach weiter beschreiten. Ich war zuvor nicht unglücklich, habe aber den inneren Drang verspürt, mein „Außen“ aufzuräumen. Ordentlich war ich schon immer, doch damals war der Startschuss gefallen, das Ganze konsequenter zu verfolgen.

Welche Vor- und Nachteile siehst Du im „Wenighaben“? Vermisst Du Dinge bzw. auf welchen Gegenstand könntest Du nicht verzichten?

Die Vorteile sind, dass ich immer ein aufgeräumtes Gefühl in meinem Leben habe, ein Gefühl, dass alles in Ordnung (und eben nicht in Unordnung) ist. Keinen überflüssigen Ballast zu haben, macht unbeschwert und frei. Minimalismus verhilft in meinen Augen zu wahrem Reichtum: Statt nach möglichst viel Besitz zu streben, habe ich bereits alles, was mir wichtig ist. Daher vermisse ich nichts.

 

Es gibt vieles, auf das ich nicht verzichten möchte. Dazu gehören mein Smartphone, weil ich es auf unheimlich diverse Weise nutze, Sentimentales wie ein Stoffhund aus meiner Kindheit, aber auch profane Dinge wie mein Glätteisen oder unsere große Couch, auf der man so schön faulenzen kann. 

Weißt Du, wie viele Gegenstände Du besitzt?

Keine Ahnung. Darauf kommt es mir auch nicht an. Ich schätze ganz grob, dass ich seit Beginn meiner minimalistischen Reise unseren Haushalt etwa um ein Drittel bis um die Hälfte der Dinge reduziert habe. 

Bedeutet für Dich auch, dass man als Minimalist regional, nachhaltig, vegan und plastikfrei lebt?

Das entscheidet jeder für sich selbst. Für mich hat Minimalismus viel mit Nachhaltigkeit zu tun, weil ich glaube, dass der übermäßige und oft unbewusste Konsum, den wir derzeit leider als normal erleben, der Welt stark schadet. Ich versuche daher, Dinge, die ich brauche, zu leihen oder gebraucht zu kaufen, Müll zu vermeiden und wenig Fleisch zu essen. Aber das ist nicht zwangsläufig an Minimalismus gekoppelt, sondern meine Lebensweise entstammt einfach dem Wunsch, die Erde zu entlasten.

Was hältst Du von einem Minimalismus, bei dem es darum geht, auf Gegenstände zu verzichten, aber viele immaterielle Werte zu sammeln (z.B. viele und weite Reisen mit dem Flugzeug)?

Ich vermute, dass viele Minimalisten auf Erlebnisse statt materieller Dinge setzen, z.B. wenn es um Geschenke geht. Das finde ich auch selbst gut. Da aber nicht für jeden Minimalisten auch Nachhaltigkeit einen ausschlaggebenden Beweggrund für sein minimalistisches Leben darstellt, gibt es hier natürlich ganz unterschiedliche Prioritäten. So entscheidet sich jemand mitunter für ein minimalistisches Leben, weil er die damit einhergehende Freiheit genießt und an keinem festen Ort wohnen möchte. Zwangsläufig unternimmt er dann vielleicht viele Flugreisen. Das finde ich in Ordnung. Denn der mit Minimalismus einhergehende Konsumverzicht hat ja trotzdem immer eine positive Wirkung auf die Umwelt.

Wie sieht bei Dir ein klassischer Urlaub aus? Achtest Du auch hierbei auf die minimalistischen Prinzipien?

Wir verreisen meistens im europäischen Ausland und wohnen im Hotel oder Appartement. Die minimalistischen Prinzipien wende ich auch hier an, weil sie mir in Fleisch und Blut übergegangen sind. Das bedeutet zum Beispiel, dass ich auch im Urlaub nicht shoppen gehe. Wir machen uns aber auch keine Vorwürfe, wenn wir in einem Land, in dem man Wasser in Einweg-Plastikflaschen kauft und es kein Pfandsystem oder Recycling gibt, mehr Müll verursachen als zu Hause. 

Auf Deinem Blog haben wir gelesen, dass Du schon sehr bald Nachwuchs erwartest. Möchtest Du Deinem Kind auch den Minimalismus nahebringen? Hast Du in diesem Zusammenhang Ängste, dass Dein Kind, gerade wenn es in der Pubertät ist, von anderen Jugendlichen ausgeschlossen werden könnte, weil es nicht ständig die neusten Sachen hat?

Unsere Tochter wird ganz automatisch mit unseren Werten aufwachsen und diese dann für sich selbst umzusetzen wissen. Wenn das bedeutet, dass sie als Teenie zu H&M shoppen geht, dann muss ich das akzeptieren. Dafür ist sie aber vielleicht Vegetarierin oder achtet darauf, wenig Müll zu produzieren. Jeder darf und sollte selbst entscheiden, nach welchen Werten er lebt und wie er diese umsetzt.

 

Ich denke und hoffe nicht, dass unser Kind gehänselt werden würde, wenn es nicht jedem Trend hinterherläuft. Außerdem weiß ich aus Erfahrung, dass sich alle Trends auch Second Hand kaufen lassen. Und ich bin guter Dinge, dass sich in den nächsten Jahren viel tun wird, was nachhaltigen Konsum angeht, so dass die Jugendlichen dann vielleicht schon eine ganz andere, gesündere Herangehensweise an das Thema haben. Dass das für junge Leute sehr relevant ist, zeigt ja schon die Fridays-for-Future-Bewegung.

Hast Du schon aufgrund Deines minimalistischen Lebensstils negative Reaktionen von Deinem Umfeld erfahren?

Nein, nicht dass ich mich erinnern könnte.

Inwieweit spiegelt sich der Minimalismus in Deiner Ernährung wider?

Wir kaufen nur die Lebensmittel, die wir auch konsumieren, um möglichst kein Essen zu verschwenden. Und ich kaufe nicht immer gleich alles, worauf ich aus einem schnellen Impuls heraus Lust habe, sondern gönne mir solche Dinge in besonderen Momenten (z.B. Coffee-to-go).

Denkst Du, dass Minimalismus nur ein Trend der westlichen Länder bzw. ein Phänomen des Wohlstands ist?

Ich denke, dass Minimalismus, wie wir ihn verstehen, viel damit zu tun hat, dass Menschen sich aktiv dafür entscheiden, weniger zu besitzen. Wer diese Wahl nicht hat, weil er etwa arm ist, wird vermutlich gar nicht auf die Idee kommen, sich als Minimalist zu bezeichnen. Somit glaube ich schon, dass Minimalismus ein freiwilliges und bewusstes Lebenskonzept ist und damit vor allem in Wohlstandsgesellschaften Thema ist.

Warum ist ein minimalistisches Leben Deiner Meinung nach derzeit so im Trend?

Ich hoffe, das liegt daran, dass Menschen langsam erkennen, dass ihr Lebensglück nicht im „Mehr“ liegt und unbewusster und ständiger Konsum sie nicht nachhaltig erfüllt. Gleichzeitig möchten sich sicher viele von unnötigem Ballast befreien. 

Was hindert viele Menschen daran, minimalistisch zu leben bzw. warum fällt es vielen schwer, nur wenige Gegenstände zu besitzen und sich von Sachen zu trennen?

Vermutlich sind noch viele Leute der Illusion erlegen, dass Konsum glücklich macht, nach dem Motto „Mehr ist mehr“. Genau das bekommen wir ja auch täglich Hunderte Male durch Werbung suggeriert. 

 

Sich von Gegenständen, die man bereits hat, zu trennen, kann wiederum mit Ängsten verbunden sein – wohl weil man Dingen oft eine identitätsstiftende Wirkung zuschreibt. Manchmal sind es auch einfach sentimentale Gründe, warum man sich nicht trennen mag – und diese Dinge darf man ja gerne behalten, finde ich.



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