Alkohol gehört für mich zum Leben. Ich genieße es, ein Glas Wein oder Bier zu trinken. Danach möchte ich gerne ein zweites. Und wenn es gerade gemütlich ist oder ich mich in einem anregenden Gespräch befinde, auch ein drittes. Die Male, an denen ich richtig betrunken bin, kann ich pro Jahr an einer Hand abzählen. Trotzdem bereitet mir das Thema Alkohol ein schlechtes Gefühl und Gewissen.
Alkohol ist das einzige Laster, das ich mir nach wie vor zugestehe. Ich rauche nicht, bin viel in Bewegung, ernähre mich überwiegend gesund, optimiere mich selbst und mein Leben in allen möglichen Bereichen – das ist keine Bürde, sondern macht mich froh und zufrieden. Doch an das Thema Alkohol traue ich mich bei aller Selbstoptimierung nur sporadisch und selten mit dem notwendigen Willen ran. Dabei ist er der wichtigste Störfaktor für all meine anderen Bemühungen!
Durch Alkohol nehme ich mir die Möglichkeit, mein bestes Ich zu sein.
Zuletzt habe ich zum Beispiel über meine Routinen geschrieben. Sie sind mir wichtig. Sie stellen sicher, dass ich physisch, psychisch, geistig auf einem für mich angenehmen Niveau agiere, dass ich kreativ und produktiv bin.
Wenn ich am Vorabend aber getrunken habe – und mittlerweile reichen da oft 2 Gläser Wein – erschwert es sämtliche positiven Gewohnheiten: Ich schlafe schlechter (und Schlaf gehört immerhin zu meinen höchsten Prioritäten), mag am nächsten Tag daher nicht wie gewohnt früh aufstehen, schlafe also länger (schlecht), erledige aufgrunddessen und weil der Schaffenswille gedämpft ist, in der Früh nicht die Dinge, die ich mir vorgenommen habe und die mir etwas bedeuten (Arbeiten an meinem Blog oder als Freiberuflerin für BeerJack). In der Arbeit habe ich dann oft Kopfweh und bin – auch aufgrund der schlechten Nacht – verspannt im Nacken. Abends komme ich erschöpfter heim als sonst und muss mich stark überwinden, noch zu meditieren. Dann trinke ich nichts, denn ich bereue ja noch den Abend zuvor. Ich schlafe gut, bin am nächsten Tag kreativ und produktiv, die Arbeit macht Spaß, ich komme gut gelaunt heim und um den Abend angemessen ausklingen zu lassen, trinken wir ein, zwei Gläschen. Das Spiel beginnt von Neuem.
Von einem richtigen Kater kann man da nicht sprechen. Es ist nur eine leichte Verschlechterung des Gesamtzustandes, der sich aber durch sämtliche Bereiche meines Tages zieht und sie dunkler einfärbt.
Ich habe mir durch Alkoholgenuss schon oft die Möglichkeit genommen, mein bestes Ich zu sein.
Objektives versus subjektives Alkoholproblem
Öfter mal verzichten? Ich muss leider zugeben: Es fällt mir schwer, mal eine Woche gar nichts zu trinken. Etwa jeden zweiten, dritten Tag wird immer zu einem alkoholischen Getränk gegriffen, manchmal auch an zwei Tagen hintereinander.
Da es meist keine so großen Mengen sind, summiert sich mein Konsum durchschnittlich genau auf die täglich empfohlene Höchstmenge für Frauen (ich weiß das deswegen, weil ich seit eineinhalb Jahren eine entsprechende App führe, in der ich jedes Glas festhalte). Es handelt sich also laut DGE vermutlich nicht um einen gesundheitsschädlichen Konsum.
Es geht mir heute aber auch nicht um die Frage: Ist mein Alkoholkonsum objektiv betrachtet zu hoch oder noch in Ordnung? Darauf mag es Antworten geben, die verschiedene Tests enthüllen können. Ich brauche sie nicht (mehr), denn ich habe schon meine subjektive Antwort gefunden: Mein Alkoholkonsum beeinträchtigt mich und nimmt mir am Ende die Lebensfreude, die er mir beim ersten Schluck noch versprochen hat.
Dass ich ein subjektives Problem mit Alkohol habe, merke ich auch daran, wie oft sich das Thema in meine Gedanken stiehlt: Soll ich, soll ich nicht? Trinkt der andere auch noch ein Glas mit oder muss ich mir blöd vorkommen, wenn ich noch was bestelle? Trinke ich zu schnell? Warum ist mir ein Glas oft nicht genug? Warum musste ich gestern nur so viel trinken, dass es mir heute schlecht oder zumindest schlechter als sonst geht? Warum trinke ich, obwohl ich manchmal eine körperliche Abwehr dagegen spüre, ein Anti-Appetit-Gefühl, das mein Bauch mir sendet? Ich ignoriere es meist, obwohl ich sonst ja immer hochhalte, dass ich so auf meinen Körper höre.
Aber beim Thema Alkohol spielt eben nicht nur der Bauch eine Rolle, sondern auch der Kopf und die Psyche: Ich WILL JETZT SOFORT was trinken, denn es
- entspannt und belohnt mich nach einem harten (oder auch nicht so harten) Tag,
- ist ein perfektes Symbol dafür, wie sehr ich das Leben in diesem Moment genieße,
- sorgt am Abendbrottisch für tiefsinnige Gespräche, für die man sich sonst nicht die Zeit genommen hätte,
- lässt das Eis bei ungewohnten Zusammenkünften, die mich unsicher machen, schneller brechen,
- macht langweilige Veranstaltungen lustig.
Genau in dieser Reihenfolge sind das meine Trigger für Alkoholkonsum.
Kein Alkohol im Dezember!
„Alkohol macht alles besser, bis er alles schlechter macht.“ Dieses Zitat stammt aus der sehr lesenswerten Memoire von Caroline Knapp (siehe Tipps unten), die darin ihre Sucht beschreibt. Sie bezieht es auf den sukzessiven Verfall, den Alkoholkranke mitmachen, den Übergang vom Anfangsstadium des Alkoholismus (das laut Knapp zehn bis 15 Jahre dauert!) bis hin zum Trinker am Abgrund, der Familie, Job, Wohnung und am Ende sein Leben verliert.
Dass Alkohol alles erst besser macht, bevor er alles schlechter macht, kann ich aber auch im Kleinen beobachten: Ich merke das jedes Mal, wenn ich mehr trinke als ein, zwei Gläser: Erst genieße ich es und es bereitet mir Befriedigung und Freude. Doch das Blatt wendet sich recht bald, wenn ich dann die schwitzige, unruhige Nacht verlebe und ich mich am nächsten Tag der Möglichkeit beraubt sehe, voll auf der Höhe zu sein. Es ist dann wie bei allen Drogen: Für einen kurzen Kick zahlt man einen höheren Preis, als er es wert war. Zumindest ist er es mir nicht wert.
Im Dezember möchte ich mich diesem Thema daher widmen und komplett auf Alkohol verzichten – trotz Weihnachtsfeiern, Christkindlmärkten und Silvester. Schließlich würde ich, wenn ich den perfekten Zeitpunkt für eine Abstinenz abwarten wollte, ewig warten.
Die größte Frage während meines Monats ohne Alkohol wird sein: Wie kann ich die oben aufgeführten Bedürfnisse, denen ich oft mit einem Glas Wein oder Bier begegne, durch andere, gesündere Gewohnheiten stillen? (Lest hier das Fazit meines alkoholfreien Dezembers.)
Vielleicht habt ihr Ideen? Schreibt sie mir gerne in die Kommentare ganz unten.
Bis bald
Eure Silke
Live lightly. Consume mindfully.
Meine Tipps für heute:
Tolle Memoire, die das Thema Trinken teilweise schmerzhaft ehrlich aufgreift – auch für Nicht-Alkoholkranke:
Caroline Knapp: Alkohol: Meine gefährliche Liebe
Ebenfalls eine Memoire. Sie liest sich auf lockere Art – oft musste ich ganz laut lachen – und trotzdem schafft es die Autorin, dass die tiefschürfenden Details aus einem Leben als trunksüchtiges Party-Girl unter die Haut gehen:
Amber Tozer: Sober Stick Figure
Und auch in diesem Buch erzählt der Autor über seinen mit der Zeit immer umfassenderen Alkoholkonsum und wie er es geschafft hat, nüchtern zu werden:
Daniel Schreiber: Nüchtern. Über das Trinken und das Glück.
Zwei Podcast-Folgen von "Real Talk Radio", die ich sehr interessant fand. Sie handeln beide davon, das Trinken aufzugeben – auch wenn man sich objektiv vielleicht nicht als Alkoholiker qualifiziert:
Nicole Antoinette on Quitting Drinking, Changing Your Life, and Celebrating Five Years of Sobriety
https://www.nicoleantoinette.com/podcast/nicole-antoinette/
Holly Whitaker on Drinking, Getting Sober, and Breaking The Stigma of Addiction
https://www.nicoleantoinette.com/podcast/holly-whitaker/
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