Jasmin arbeitet bei einem Lebensmittel-Discounter und wirft abends säckeweise nicht verkaufte Brötchen und andere Backwaren in den Müll. Auf Alternativen, etwa den Überschuss zu spenden, geht der Filialleiter nicht ein. Dabei gäbe es Möglichkeiten, diese Art der Lebensmittelverschwendung zu verhindern. Daran, dass überhaupt so viele Backwaren unnötig produziert werden, scheint allerdings auch der Kunde nicht unschuldig zu sein.
Jasmin möchte ihren Nachnamen nicht nennen. Auch wie der Discounter heißt, für den sie arbeitet, oder wo sich ihre Stammfiliale genau befindet, verrät sie nicht. Ihr gehe es nicht darum, einen bestimmten Lebensmittelhändler, einen einzelnen Laden oder dessen Leiter anzuschwärzen. Sie wolle ein Bewusstsein schaffen dafür, dass mit den übergeordneten Strukturen etwas nicht stimme.
Jasmin ist Verkäuferin in Teilzeit, ein Nebenjob, für den sie 20 Stunden die Woche bei einem Lebensmittel-Discounter im Rhein-Main-Gebiet arbeitet. Zu ihren Aufgaben gehören neben Kassieren und dem Einräumen der Ware in die Regale auch das Backen. Diese Aufgaben teilt sie sich mit ihren Kolleginnen und Kollegen.
Vier bis fünf Säcke Backwaren wandern in den Müll – „Es sind sehr große Säcke“
Im Backbereich hat der Kunde eine große Auswahl: Allein zwölf oder 13 verschiedene Brötchensorten gibt es, schätzt Jasmin. Dazu kommen jeweils unterschiedliche Arten Brot, Baguette, Croissants und Stückchen. Alles soll bis Ladenschluss für den Kunden verfügbar sein. Was dann nicht verkauft wurde, kommt in die Tonne. Im Schnitt vier bis fünf Säcke jeden Abend. „Es sind sehr große Säcke, größer als gelbe Säcke, größer sogar als blaue Säcke“, beschreibt Jasmin. In einen blauen Sack passen 120 Liter.
Brötchen mit nach Hause nehmen? Darf Jasmin nicht. Sie hat gefragt. „Mir wurde geantwortet, dass das früher mal erlaubt war. Aber die Mitarbeiter hätten dann ihre Lieblingsstückchen extra abends nachgebacken, um sie frisch mit nach Hause zu nehmen.“ Das möchte ihr Chef offenbar nicht noch einmal riskieren.
Ein andermal hat Jasmin bei ihrem Filialleiter nachgehakt, ob man die Ware abends nicht zum halben Preis verkaufen könne. „Das wurde abgelehnt mit dem Argument, dass die Kunden dann absichtlich nur am Abend einkaufen würden.“
Eine dritte Option – der Verkauf zum reduzierten Preis am nächsten Tag, wie man das aus traditionellen Bäckereien kennt – schließt sich bei der Discounter-Backware von selbst aus: „Die Stückchen und Brötchen können nicht am nächsten Tag verkauft werden“, sagt Jasmin. „Sie sind dafür gemacht, am selben Tag gegessen zu werden. Sie halten nicht länger frisch, am nächsten Tag sind sie hart.“
Lebensmittelverschwendung auf Ansage – Erstens: Was übrig bleibt, wird weggeworfen
Ihr Chef ist sich dessen bewusst, dass die übriggebliebenen Backwaren in der Tonne landen. „Das Wegwerfen ist eine konkrete Anweisung.“ Nur ein Einzelfall? Laut Jasmin nicht: „Ich denke, es ist konzernweit dieselbe Handhabe.“ Sie sei zur Einarbeitung und zum Aushelfen bereits in drei verschiedenen Läden desselben Discounters tätig gewesen. In allen Läden habe sie dasselbe erlebt.
„Das [Wegwerfen] wird in Kauf genommen und die Leiter wissen es auch.“ Schließlich werde alles wird mit einem Gerät erfasst und abgeschrieben. „Dabei müssen wir die Teile zählen und dann schmeißen wir sie in die Tonne.“
Zwar seien solche Verluste auch ihrem Chef ein Dorn im Auge, er beschwere sich über die Abschreibungen. „Er sagt dann: 'Och, wir haben in diesem Monat viel weggeworfen!' Aber der Verlust ist für ihn nur eine Zahl, die in einer Tabelle steht“, erklärt Jasmin.
Die Teilzeitverkäuferin hat nur mit dem Wegwerfen von Backwaren zu tun. Wie das mit Frischeprodukten wie Fleisch oder Fisch in ihrer Filiale gehandhabt wird, weiß sie nicht. „Das wegzuschmeißen wäre noch härter für mich. Es ist schon mit Brot jeden Abend eine Qual. Ich denke mir bei jedem Teil: Es wurde doch gebacken, um gegessen zu werden!“
In ihrer Stammfiliale gibt es laut Jasmin keine Zusammenarbeit mit der Tafel. Aber in der Filiale, in der sie eingearbeitet worden sei, habe es eine Kooperation gegeben: “Da wurden Fleisch, Gemüse und Milchprodukte an die Tafel weitergegeben. Aber Brot nicht. Das weiß ich auch aus anderen Filialen.“
Sie habe ihrem Vorgesetzten erzählt, wie sehr sie das Wegwerfen von Lebensmitteln belastet und ihn gefragt, ob es keine anderen Möglichkeiten gebe, etwa die überschüssige Ware an ein Obdachlosenheim zu spenden. Ihr Vorschlag sei ignoriert worden. „Ich glaube, das liegt daran, dass mein Chef es nicht selbst wegwerfen muss. Ich aber muss jedes Teil mit meinen Händen anfassen, das ich wegwerfe.“
Zweite Ansage: Die Backregale müssen immer voll sein
Wenn das Walnussbrot aus ist, nimmt man eben eine andere Sorte: Was man in einer traditionellen Bäckerei als selbstverständlich hinnimmt – und zwar, dass nicht alle Waren bis zum Schluss verfügbar sein können, da nur nach geschätztem Bedarf gebacken wird – scheint beim Discounter nicht zu gelten. Der Kunde müsse bis vor Ladenschluss alle Waren zur Auswahl haben, berichtet Jasmin. „Das Regal muss immer so aussehen, als hätte ich den Laden gerade aufgemacht – auch bis abends.“
Mit ihrem Filialleiter habe sie bereits Diskussionen deswegen gehabt, habe bei halbleeren Regalen vorgeschlagen, etwas abzuwarten, ob ein Nachbacken wirklich nötig ist. Die erwartete Nachfrage habe ein Nachproduzieren zu diesem Zeitpunkt einfach nicht gerechtfertigt. „Mein Chef hat es zwar nicht gesagt, aber mir kam es so vor, als ob er meine Meinung als eine Art Arbeitsverweigerung begriffen hat“, sagt Jasmin. „Das war immer ein Knackpunkt zwischen dem Filialleiter und mir. Obwohl er es auch schade findet, dass wir immer so viel wegwerfen.“
Trotzdem rechtfertigt die Mitarbeiterin das Verhalten ihres Vorgesetzten: Ihrer Einschätzung nach unterliegt er Vorgaben, die von der Zentrale gemacht werden. „Wenn jemand von der Revision kommt, kann es eine schlechte Note geben, wenn die Backwaren nicht alle da sind.“
Dritte Ansage: „Der Ofen muss immer laufen.“
Die Lösung dafür, nicht so viel wegwerfen zu müssen, liegt auf der Hand: Möglichst keinen Überschuss zu produzieren. Für ein Unternehmen ist das sicherlich auch die wirtschaftlich sinnvollere Variante.
Trotzdem werden Verluste zumindest in Jasmins Filiale nicht nur in Kauf genommen – sondern scheinen sogar aktiv gefördert zu werden. Denn es werden selbst Waren nachgebacken, an denen überhaupt kein Bedarf besteht: „Zum Beispiel Kürbiskernbrötchen isst niemand. Die werden zumindest bei uns nicht so gut verkauft.“ Jasmin backt infolgedessen nur ein Blech davon. „Das reicht für den ganzen Tag, davon werfe ich sogar noch zwei, drei Stück weg.“
Doch nicht alle Kollegen handeln so vorausschauend. „Manche denken nicht darüber nach, was sie backen, sondern backen einfach, weil der Chef sagt: 'Der Ofen muss immer laufen'.“ Diese Kollegen packen die Kürbiskernbrötchen laut Jasmin also weiter in den Ofen – nur um sie am Abend in den Müll zu werfen.
Genaue Richtlinien, was in welchen Mengen gebacken werden muss, gebe es nur morgens. Im Tagesverlauf fehlten konkrete Angaben, Jasmin beschreibt es als „Gefühlssache“.
Wenn der Ofen mal nicht läuft, höre man das. Für ihren Chef sei das ein Zeichen, dass man während der Arbeitszeit untätig ist: „Man ist entweder fürs Kassieren, für den Laden oder fürs Backen zuständig. Und wer fürs Backen zuständig ist, muss das dadurch zeigen, dass das Regal immer voll ist und der Ofen immer läuft“, meint Jasmin.
Daran hält sich die Teilzeitverkäuferin nicht immer: Sie lasse den Ofen auch mal zwei, drei Stunden aus. „Bei mir muss es sich lohnen. Aber das ist meine Entscheidung.“ Eine Entscheidung, die sie sogleich selbstkritisch hinterfragt: „Vielleicht reflektiere ich die Arbeit viel zu sehr, anstatt sie einfach so zu machen, wie es gewollt ist.“
Damit riskiert sie eine Abmahnung.
Discounter und Supermärkte sind sich keiner Schuld bewusst
Was sagen die großen Supermarktketten und Discounter zu dieser Lebensmittelverschwendung auf Ansage? Alle angeschriebenen Unternehmen – Aldi Süd, Lidl, die Rewe Group (Rewe und Penny), Norma, Edeka und Netto (gehört zum Edeka Verbund) – haben zeitnah auf eine entsprechende Anfrage reagiert.
Sie betonen ihr Interesse an einem verantwortungsvollen Umgang mit Lebensmitteln, zum Beispiel, indem – wie man es bei Edeka formuliert – versucht wird, „überschüssige Lebensmittel im Handel auf ein Minimum zu reduzieren und die Verbraucher für einen verantwortungsvollen Umgang mit Lebensmitteln zu sensibilisieren.“ Wie gelingt den Ketten das?
Schnelldreher
Um Überschuss zu vermeiden, setzen Supermärkte und Discounter vor allem auf sogenannte Schnelldreher. Bei Aldi Süd beschreibt man das als „Produkte mit einer hohen Umschlagshäufigkeit“. Dabei „haben die Waren im Sortiment sehr kurze Durchlaufzeiten.“ Die Waren werden teilweise auf Tagesbasis bestellt, wobei genau auf die Abverkäufe geachtet wird.
Bei Norma führt man aus: „Lebensmittel, die sich 'nicht drehen' und von den Verbrauchern bei ihrer Einkaufsentscheidung nicht ausreichend oft berücksichtigt werden, werden in der Folge aus unserem Sortiment gestrichen.“ Darunter fallen alle in den Filialen geführten Artikel, auch Frischeprodukte wie Obst, Gemüse und Fleisch.
Um die optimale Dispositionsmenge, also die Anzahl der Waren, die zum Verkauf vorgehalten wird, ermitteln zu können, „werden unsere Filialleiter intensiv geschult und durch Dispolisten sowie Ordervorschläge unterstützt“, sagt Katja Heck von der Unternehmenskommunikation bei Norma.
Edeka vertraut neben „moderne(n) Warenwirtschaftssysteme(n), die den Warenfluss optimieren“ und „effiziente(n) Lagerstandorte(n) und Logistikprozesse(n)“ ebenfalls auf „die selbstständigen Edeka-Kaufleute mit ihrer Erfahrung, die Nachfrage genau abzuschätzen, und durch fachgerechten Umgang mit den Produkten, Lebensmittelabfälle zu vermeiden.“
Genauer möchte sich keines der Unternehmen zu ihren konkreten Anweisungen an die Filialleiter äußern. Bei Netto heißt es dazu: „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir aus Wettbewerbsgründen keine Details etwa in Bezug auf interne Arbeitsabläufe oder betriebliche Richtlinien für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter öffentlich kommunizieren.“
Reduzierte Abverkäufe
Bleiben trotz der beschriebenen Maßnahmen Produkte länger in den Regalen liegen, als vom Lebensmittelhändler gewünscht, hilft man dem Abverkauf durch Preisreduzierungen auf die Sprünge. Bei Aldi Süd erklärt man: „Produkte aus den Bereichen Frischfleisch und Fisch aus der Kühltheke, die kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums stehen, bieten wir zu einem reduzierten Preis an.“ Auch Obst und Gemüse, das nicht mehr lange frisch bleibt, und ausgewählte Backwaren wie Brot oder Kuchen seien dann 30 Prozent günstiger.
Bei Rewe und Penny, die zusammengehören, bleibt nach eigener Aussage auf diese Weise insgesamt nur ein Prozent der Lebensmittel unverkauft.
Kooperation mit den Tafeln: „Die Zusammenarbeit läuft wunderbar“
Bei Waren, die trotz Preisvergünstigungen nicht verkauft werden, kommt die Tafel Deutschland ins Spiel. Sie besteht aus etwa 900 lokalen Initiativen. Über diese werden die Lebensmittel dann an Bedürftige, die einen entsprechenden Nachweis über den Bezug von staatlichen Leistungen wie Hartz IV vorweisen können, zu geringem Preis verkauft.
Kooperationen gibt es laut dem Dachverband Tafel Deutschland flächendeckend mit allen Supermarktketten und Discountern. Ein Punkt, den auch die Unternehmen selbst unterstreichen.
Von den Tafeln wird alles angenommen, was noch bedenkenlos verzehrt werden kann, etwa Obst mit Druckstellen oder Produkte mit nahendem (seltener: abgelaufenem) Mindesthaltbarkeitsdatum. Schließlich ist das MHD lediglich ein Richtwert, Lebensmittel sind meist noch weit darüber hinaus genießbar. Anders liegt die Sache beim sogenannten Verbrauchsdatum, das bei Frischeprodukten wie Wurst, Fleisch und Fisch zum Einsatz kommt: Ist dieses abgelaufen, sollte das Lebensmittel entsorgt werden. Ansonsten nimmt die Tafel auch Fleisch durchaus an.
Und Backwaren? Die ebenfalls. Früher sei das aus steuerlichen Gründen schwierig gewesen, doch längst sei das kein Problem mehr. „Allerdings werden sehr viele Backwaren an die Tafeln gespendet, sie sind in hohem Maße vorhanden. Es bleibt viel mehr übrig, als letztlich von uns weitergegeben werden kann“, heißt es seitens der Tafeln Deutschland.
Nicht jede Filiale kann mit einer Tafel zusammenarbeiten
„Die Zusammenarbeit des Handels mit den Tafeln läuft wunderbar“, erklärt man bei der Tafel Deutschland auf Anfrage. Es gebe allerdings nicht in jeder Stadt oder Gemeinde eine Tafel. „Deswegen kann die Tafel nicht von jedem Supermarkt oder Discounter etwas annehmen.“
Das jedoch soll kein Grund sein, dass Lebensmittel stattdessen weggeworfen werden. Die Tafel Deutschland: „Es gibt die Möglichkeit, kleinere Mengen über Foodsharing abzugeben.“ Mit dieser Initiative kooperiert die Tafel folgendermaßen: „Große Spenden gehen an die Tafel, kleine Mengen oder Überschüsse von Märkten in Orten, wo es keine Tafel gibt, gehen an Foodsharing.“ Die Foodsharing-Initiative beschreibt sich selbst als „Gruppe von Menschen, die sich ehrenamtlich dafür engagieren, dass weniger Lebensmittel in den Müll wandern.“ Mitmachen könne jeder, auf der Webseite wird auf die besondere Flexibilität hingewiesen: Man hole selbst am Wochenende oder spätabends nicht verkaufte Ware ab.
Wie lässt es sich also erklären, dass es laut Jasmin weder in ihrer eigenen noch in zwei weiteren Filialen desselben Discounters eine Kooperation gegen Lebensmittelverschwendung gibt – sei es mit der örtlichen Tafel oder, falls nicht vorhanden, über Foodsharing?
Da wir nicht direkt nachfragen können, gibt es hierauf keine Antworten, sondern nur weitere Fragen: Entspricht es zu viel Aufwand und zu wenig Nutzen, eine vernünftige Kooperation zu etablieren? Ist es schlicht und ergreifend einfacher, Überschüsse einfach im Müll zu entsorgen? Und warum nimmt man den Überschuss und damit Verluste überhaupt in Kauf?
Der wirtschaftliche Schaden ist offenbar nicht groß genug
Viele der angeschriebenen Lebensmittel-Konzerne haben darauf hingewiesen, dass es für sie auch aus ökonomischer Sicht sinnvoll ist, Lebensmittelverschwendung zu vermeiden. Edeka äußert sich hierzu so: „Überschüssige Lebensmittel wegzuwerfen ist nicht nur unter ökologischen Gesichtspunkten kritisch, sondern stellt auch ein wirtschaftliches Verlustgeschäft dar.“
Andreas Krämer, Pressesprecher der Rewe Group, erklärt: „Im Bereich von Bake-Off-Ware haben die Märkte die Vorgabe, in Richtung Ladenschluss nur noch vorausschauend zu backen. Abschreibungen nehmen wir grundsätzlich nicht so einfach hin, sondern suchen diese – allein schon aus kaufmännischem Interesse – zu minimieren.“ Die Abschreibungsquoten würden regelmäßig durch die Markt- und Bezirksleitung analysiert und besprochen, gegebenenfalls Optimierungsmöglichkeiten geprüft.
„Das Thema 'Food Waste' hat somit neben der ethisch-moralischen Dimension für Penny auch schlicht kaufmännische Aspekte“, so Krämer weiter. „Es gibt keinen plausiblen Grund, warum ein Mitarbeiter die Bemühungen von Penny gegen Food Waste unterminieren sollte.“
Auch bei Aldi Süd reagiert man ähnlich. Pressesprecherin Berit Kunze-Hullmann: „Die von Ihnen beschriebene Vorgehensweise entspricht nicht den Gepflogenheiten bei Aldi Süd.“ Trotzdem: „Grundsätzlich kann jeder Filialleiter selbst entscheiden, wie überschüssige Lebensmittel aus dem Backbereich verwertet werden.“ Diese einfach wegzuschmeißen, sei bei Aldi Süd aber nicht üblich.
Wie sind die Missstände dann zu erklären? Problem Kunde?
Die Reaktionen der Discounter und Supermärkte beruhigen zunächst – doch wie lässt sich dann erklären, dass Jasmin keinesfalls nur einen Einzelfall erlebt hat? Schließlich war sie insgesamt in drei Filialen desselben Discounters tätig und hat überall dieselben Erfahrungen gemacht: Abends werden säckeweise Brötchen weggeworfen, weil tagsüber zu viel produziert wird. Jasmins Einschätzung: Man wolle die Erwartungshaltung des Kunden befriedigen.
„Mein Knackpunkt war am Samstag vor Heiligabend: Um 19:30 Uhr kommt eine Kundin zu mir und fragt: 'Warum haben sie keine Baguettes mehr?'" Jasmin sei bestürzt gewesen von einer solchen Erwartungshaltung: "Warum erwartet man kurz vor Ladenschluss und einen Tag vor Heiligabend, wenn der Laden dann insgesamt drei Tage lang schließt, dass alles da ist?“
Jasmin glaubt, dass die Strukturen sich nur ändern können, wenn auch die Erwartung seitens des Kunden sich ändert. „Mir ist wichtig, dass die Menschen endlich verstehen, dass nicht immer alles da sein kann und nicht immer in den Mengen da sein kann, wie es jetzt zur Zeit der Fall ist“, sagt sie. „Ich hoffe einfach, dass es besser wird. Dass wir uns bewusst werden, wie viele Lebensmittel wir wegwerfen, und mehr darauf achten.“
Lebensmittelverschwendung im Handel ist das kleinste Problem
Insgesamt 11 Millionen Tonnen Lebensmittel landen in Deutschland jährlich im Müll, ergab eine Studie, die 2012 von der Universität Stuttgart veröffentlicht wurde. So sehr das Vorgehen in Jasmins Filiale am Unrechtsbewusstsein des ökologisch bewussten Konsumenten kratzt, tatsächlich findet der größte Teil der deutschlandweiten Lebensmittelverschwendung in Privathaushalten statt: 61 Prozent der Abfälle entstehen hier, während es jeweils 17 Prozent bei Großverbrauchern und Industrie und 5 Prozent im Handel sind. Als Verbraucher sollte man also auch den eigenen Umgang mit Lebensmitteln selbstkritisch hinterfragen. Tipps, wie Privatpersonen Lebensmittelverschwendung verhindern, gibt es hier.
Wenn man aber – als Kunde oder Mitarbeiter – Missstände im Discounter oder Supermarkt feststellt, sollte man das nicht ignorieren. Vielmehr kann man aktiv werden, wie auch Jasmin das getan hat: Mit dem Filialleiter sprechen. Wenn das nichts bringt, hat man die Möglichkeit, den Konzern (anonym) anzuschreiben mit genauer Angabe der Filiale. Oder man wendet sich an die Öffentlichkeit.
Die wahre Handlungsmacht liegt aber im eigenen Konsumverhalten. Bei der Initiative „Zu gut für die Tonne“ des Bundesministeriums für Ernährung erklärt man auf Anfrage: „Generell bietet es sich an, in Läden einkaufen zu gehen, die auch nicht so perfekte Lebensmittel verkaufen, oder auf dem Markt. Das unterstützt die lokale Wirtschaft.“ Hier stehe die Eigenverantwortung des Einzelnen im Vordergrund. Verantwortung dafür, welche Strukturen man mit seiner Kaufkraft unterstützt.
Meine Tipps für heute:
Die Tafel Deutschland:
Foodsharing:
Zu gut für die Tonne, Initiative des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft gegen Lebensmittelverschwendung:
https://www.zugutfuerdietonne.de/
Studie zur Lebensmittelverschwendung in Deutschland:
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